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Wie bückst du so fest auf den Strom, für den du so manche Lanze ge-
brochen! „Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze!" so sprachst
und schriebst du in trüber Zeit. Ja, wer nur die kleine Strecke von
Mainz bis nach Bonn mit den Augen des Leibes oder auch nur des
Geistes gesehen, der begreift, daß wir unsern Vater Rhein nie im Stiche
lassen dürfen, „solang em Tropfen Blut noch glüht, noch eine Faust den
Degen zieht und noch ein Arm die Büchse spannt". Ludwig Gäbler.
22. Berlin, die deutsche Kaiserstadt.
Berlin, die Hauptstadt des preußischen Staates und Residenz des
Deutschen Kaisers, steht bei einer Bevölkerung von mehr als 2 Millionen
an dritter Stelle unter den Städten Europas und ist zugleich einer
der bedeutendsten Handels- und Jndustrieplätze Deutschlands. Keine
-große Stadt Europas hat jemals in so kurzer Zeit einen solchen
Aufschwung genommen wie Berlin in den letzten Jahrzehnten.
Dieses rasche Emporblühen dankt es vor allem der gewaltigen Ent-
wicklung Preußens und Gesamtdeutschlands. Darum trägt Berlin,
dessen Weichbild 63 qkm umfaßt, einen durchaus modernen Charakter.
Ein reiches wirtschaftliches Leben durchflutet es; das zeigt uns ein
Rundgang durch die Stadt, insbesondere durch die Leipziger Straße
und Friedrichstraße mit ihren großen Geschäftshäusern, den prunkvollen
Läden und dem großstädtischen Menschengewühle. Die vornehmste
Straße und der Brennpunkt des politischen Lebens der Kaiserstadt
ist die Straße „Unter den Linden".
Diese Straße ist von alters her der Stolz Berlins. Sie ist
30 m breit und hat eine vierfache Reihe von Linden und Kastanien,
die eine breite Promenade, Reit- und Fahrwege einschließen. Be-
sonders lebhaft wird der Verkehr um die Mittagszeit und in der;
Nachmittagsstunden, namentlich an Sonn- und Feiertagen, oder wenn
kaiserliche Wagen eine Auffahrt bei Hofe melden und Fürsten und
Gesandte in ihren Prunkwagen dem Schlosse zujagen. Ein großartiges
Bild zeigt die Straße, wenn sie sich im Festesglanze zeigt, wenn
Tore und Häuser mit Kränzen und Fahnen geschmückt sind, wenn
Ehrenpforten sich erheben und eine wogende Volksmenge jubelnd dem
Einzug haltenden Herrscherpaare oder dem siegreich zurückkehrenden
Heere ihre Glückwünsche entgegenbringt. So hielten 1864 hier ihren
Einzug die Düppel- und Alsenstürmer und zwei Jahre später die aus
Böhmen und vom Main heimkehrenden siegreichen Scharen. Die
Krone solcher Einzüge war aber jener Ehrentag, als 1871 derselbe
König, dessen Heere bei Düppel und Königgrätz gesiegt hatten, seine
Hauptstadt als Deutscher Kaiser wiedersah, umgeben vom Kronprinzen
Friedrich Wilhelm, von Bismarck und Moltke. Ein anderes Bild
zeigte der 16. März des Jahres 1888. Schwarzer Flor umhüllte die
bunten Fahnen, und ein Trauerzug bewegte sich vom Kaiserlichen
Schlosse nach Westen hin zum Brandenburger Tore. Von hier
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Extrahierte Personennamen: Ludwig_Gäbler Ludwig Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm Bismarck Moltke
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Mainz Bonn Rhein Berlin Berlin Europas Deutschlands Europas Berlin Gesamtdeutschlands Berlin Berlins Main
33
Kehren wir nun durch das Brandenburger Tor zur Straße
* Unter den Linden" zurück und durchschreiten wir diese nach Osten
hin, so erblicken wir neben einfacheren Privatgebäuden mit herrlichen
Geschäftsläden stattliche Paläste, die teils von Vornehmen des Reiches
und ausländischen Gesandten bewohnt werden, teils Dienstgebäude
preußischer Ministerien sind. Der Glanzpunkt der Sttaße ist aber
der östliche Teil. Hier zieht zunächst das 13 m hohe Denkmal
Friedrichs des Großen von Rauch die Blicke auf sich. Es zeigt uns
den großen König mit Dreimaster und Krückstock.
Neben dem Denkmal steht das Kaiserliche Palais, das
seinerzeit Kaiser Wilhelm I. bewohnte. Sobald damals die aus
dem Palais wehende Purpurstandarte seine Anwesenheit anzeigte, sah
man täglich zur Mittagszeit um das Denkmal dichtgedrängte Menschen-
massen stehen. Wilhelm I. unterließ es nie, von dem berühmten
Eckfenster aus der um diese Zeit hier vorüberziehenden Wache zuzusehen
und sich dabei der erwartungsvollen Menge zu zeigen, die ihn mit
lauten Hochrufen begrüßte. Mancher hat von dieser Stelle aus das
Bild des greisen Helden, in dessen Zügen sich Ernst und Leutseligkeit
vereinigten, mit in die Heimat genommen.
Hier enden die Linden, und die freie Straße erhält die Namen:
Platz am Opernhause und Platz am Zeughause. Zu beiden Seiten
stehen hier hervorragende Gebäude: die Königliche Bibliothek,
das Opernhaus und das Palais der Kaiserin Friedrich,
die Akademie, die Universität, die Königswache und
das Zeughaus mit der durch Kaiser Wilhelm I. begründeten groß-
artigen Waffensammlung. Alle diese Gebäude sind durch Sttaßen,
Plätze oder Baumanlagen, von denen die größte das Kastanienwäldchen
heißt, voneinander getrennt. An der Straße selbst stehen die von
Rauchs Meisterhand herrührenden Standbilder der Kämpfer aus den
Freiheitskriegen: Blücher, Gneisenau, Bülow und Scharnhorst.
Wir betreten jetzt die Schloßbrücke, die über den westlichen
Spreearm führt. Die Brücke ist mit acht Marmorgruppen geschmückt,
welche das Leben des Kriegers darstellen. Pallas unterrichtet den
Jüngling in den Waffen, Nike krönt den Sieger, und Iris führt den
gefallenen Sieger zum Olymp. Vor uns liegt der Lustgarten mit
dem mächtigen Kaiserlichen Schloß, dem Dom und dem Alten
Museum.
Auf dem Kaiserlichen Schlosse weht die stolze Kaiser-
flagge und zeigt uns an, daß Wilhelm Ii. darin Wohnung genommen.
Das Schloß hat einen bedeutenden Umfang. Es bildet ein Rechteck von
200 m Länge und 117 m Breite, hat zwei Höfe und erhebt sich in
vier Geschossen 30 m, in der Kuppel bis zu 70 m hoch. Vier Jahr-
hunderte haben daran gebaut. Seine heutige Gestalt ist im wesent-
lichen ein Werk des großen Bildhauers und Baumeisters Schlüter,
der unter dem Könige Friedrich I. namentlich die herrliche, dem
Schloßplatz zugewendete Südfront baute. Unter Friedrich Wilhelm Iv.
Lesebuck f. Fortbildungsschulen rc. Allg. Teil. Z
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Extrahierte Personennamen: Friedrichs Wilhelm_I. Wilhelm_I. Ernst Friedrich Friedrich Wilhelm_I. Rauchs_Meisterhand Wilhelm Friedrich_I. Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm
326
in der Stadt Sieg zu läuten, sendet Siegesboten an seinen Vasallen
König Friedrich August, der in Leipzig der Entscheidung harrt. „Noch
dreht sich die Welt um uns!" ruft er frohlockend aus. Ein letzter zer-
schmetternder Angriff der gesamten Reiterei soll das Zentrum durchbrechen.
Noch einmal dröhnt die Erde von dem Feuer der 300 Geschütze, dann
rasen 9000 Reiter in geschloffener Masse über das Blachfeld dahin, ein
undurchdringliches Dickicht von Rossen, Helmen, Lanzen und Schwertern.
Da kommen die österreichischen Reserven aus der Aue heran, und während
die Reitermaffen, atemlos von dem tollen Ritt, allmählich zurückgedrängt
werden, setzen sich die Verbündeten nochmals in den verlorenen Dörfern
fest, und am Abend behaupten sie fast wieder dieselbe Stellung wie am
Morgen. Schwarzenbergs Angriff war gescheitert, doch der Sieger hatte
nicht einmal den Besitz des Schlachtfeldes gewonnen.
Trat Napoleon jetzt den Rückzug an, so konnte er sein Heer in guter
Ordnung zum Rheine führen; denn die schlesische Armee, die einzige
Siegerin des ersten Schlachttages, stand von der Frankfurter Straße noch
weit entfernt und war überdies schwer erschöpft von dem verlustreichen
Kampfe. Aber der Liebling des Glücks vermochte das Unglück nicht zu
ertragen. Sein Hochmut wollte sich den ganzen Ernst der Lage nicht
eingestehen, wollte nicht lassen von unmöglichen Hoffnungen. Der Kaiser
tat das Verderblichste, was er wählen konnte, versuchte durch den
gefangenen Merveldt Unterhandlungen mit seinem Schwiegervater anzu-
knüpfen und gewährte also den Verbündeten die Frist, ihre gesammelten
Streitmassen heranzuziehen. Am 17. Oktober ruhten die Waffen; nur
Blücher konnte sich die Lust des Kampfes nicht versagen und drängte die
Franzosen bis dicht an die Nordseitc der Stadt zurück.
Ii.
Am 18. früh hatte Napoleon seine Armee näher an Leipzig heran-
genommen, ihr Halbkreis war nur noch etwa eine Stunde von den Toren
der Stadt entfernt. Gegen diese 160 000 Mann rückten 255 000 Ver-
bündete heran. Mehr als einen geordneten Rückzug konnte der Kaiser
nicht mehr erkämpfen; er aber hoffte noch auf Sieg, wies den Gedanken
an eine Niederlage gewaltsam von sich, versäumte alles, was den schwierigen
Rückmarsch über die Elster erleichtern konnte.
Die Natur der Dinge führte endlich den Ausgang herbei, den
Gneisenaus Scharfblick von vornherein als den einzig möglichen ange-
sehen hatte: die Entscheidung fiel auf dem rechten Flügel der Verbündeten.
Napoleon übersah von der Höhe des Tonbergs, wie die Österreicher auf
dem linken Flügel der Verbündeten abermals mit geringerem Glück den
Kampf um die Dörfer an der Pleiße eröffneten, wie dann das Zentrum
der Verbündeten über das Schlachtfeld von Wachau herankam. Es
waren die kampferprobten Scharen Kleists und des Prinzen Eugen; über
die unbcstatteten Leichen der zwei Tage zuvor gefallenen Kameraden
ging der Heerzug hinweg. Vor der Front der Angreifer lagen langhin-
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Extrahierte Personennamen: Friedrich_August Friedrich August Napoleon Ernst Napoleon Napoleon Eugen
363
Man hatte in früheren Kriegen den jammervollen Zustand kennen gelernt,
in welchem sich verwundete und erkrankte Krieger während der Schlacht und
nach den Kümpfen befanden. Aus dem Krimkriege z. B. kehrten von 309000
ausgerückten Franzosen 95240 nicht wieder heim. Davon waren nur 20000
in Schlachten gefallen und ihren Wunden erlegen, 75 000 dagegen an
Krankheiten gestorben.
Um nun solche Mißstände bei neu ausbrechenden Kriegen mög-
lichst zu beseitigen, trafen die gebildetsten Völker Europas eine Verein-
barung, die sogenannte Genfer Konventton (der erste darauf bezügliche
Vertrag wurde am 22. August 1864 zu Genf abgeschlossen). Danach
sollte das gesamte Personal und Gerät, das im Kriege zur Pflege und
Heilung der Kranken und Verwundeten gebraucht wird, sowie alles, was
damit zusammenhängt, als neutral (keinem der kriegführenden Völker
zugehörig) angesehen, die Pfleger also nicht zu Kriegsgefangenen gemacht
und ihr Material nicht als Beute betrachtet werden. Als gemeinschaft-
liches Zeichen für alle, welche diesen Schutz genießen, wurde das rote
Kreuz auf weißem Grunde gewählt. Es hat viel Segen gesttftet bei
Freund und Feind. Unter seinem Schutze haben die Ärzte und Geist-
lichen, die barmherzigen Schwestern und die Diakonissinnen sich ihrer
Pflegebefohlenen treulich annehmen können, sie weder im Getümmel des
Kampfes, noch in ihren von Seuchen und ansteckenden Krankheiten heim-
gesuchten Lagerstätten, noch in der Gefangenschaft verlassen. Überallhin
bemühten sie sich, ihnen für die Schmerzen des Leibes und der Seele
Linderung zu bringen, und gar manche hauchten ihr Leben aus im Dienste
für die Brüder.
Aber auch die Soldaten selbst halfen oft in der menschenfteundlichstev
Weise ihren verwundeten Kameraden.
Der badische Feldgeistliche vr. Bauer schreibt: „Ein Einundzwanziger
wurde bei den Kämpfen um Dijon gegen Ende Januar 1871 von einem
französischen Soldaten durch einen Schuß verwundet, während er ihn durch
einen Bajonettstich verletzte. Als der Preuße sah, daß der Franzose schwerer
als er verwundet sei, wälzte er sich zu ihm hin, packte seinen Tornister
aus, verband erst ihn und dann sich selbst und deckte einen Teppich und
seinen Mantel über sie beide, und so lagen sie vierundzwanzig Stunden
auf dem Schlachtfelde. Dann kamen sie in verschiedene Lazarette, und
nun schickte der Franzose voll Unruhe überall bei uns herum, um zu
fragen, was der Preuße mache, und ihm zu danken. Leider konnte ich
den barmherzigen Samariter nicht finden."
Folgende Erzählung zeugt von der guten Manneszucht im Heere
und von dem menschenfteundlichen Verhalten vieler Offiziere den Soldaten
gegenüber.
Ein sächsischer Ulanenunteroffizier hatte einen Schuß in die Brust
erhalten. Die Hilfe, welche ihm zwei seiner Kameraden gewähren wollten,
lehnte er ab, indem er sie bedeutete, sich lieber selbst zu retten, um nicht
mit ihm in Gefangenschaft zu geraten. Sie brachten ihn aber dennoch
auf ein Pferd und ritten mü ihm zurück. Unterwegs begegnete den drei
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351
diente ihm ein einfaches Feldbett, das er sogar auf seinen Reisen mit
sich nahm. Es bestand aus einem eisernen Gestelle, einer Matratze
und einigen wollenen Decken. Schlafrock und Pantoffel waren ihm
unbekannte Dinge, und von früh bis spät sah man ihn gewöhnlich
in der Uniform seines Garderegiments, in der er auch auf seinen
Wunsch beigesetzt worden ist. Von seinen täglich gebrauchten Kleidungs-
stücken konnte sich der Kaiser nur schwer trennen. So benutzte er
z. B. auf seinen Spazierfahrten einen Mantel, der ihm schon mehr
als fünfundzwanzig Jahre gedient hatte. Als ihn einst sein Kammer-
diener um einen abgetragenen Oberrock bat, fragte der Kaiser: ^Wie-
viel würdest du für ihn bekommen?" „Zwei bis drei Taler", war
die Antwort. „Hier ist das Geld," sagte der Kaiser, „ich will lieber
den Rock noch eine Zeitlang tragen."
Der Kaiser war Soldat mit Leib und Seele, und so oft seine
Truppen ins Feld rückten, war er ihr Führer und teilte mit ihnen
die Mühen und Gefahren des Krieges. An Schlachttagen folgte er
meist zu Pferde dem Gange der Ereignisse, und mehr als einmal
geriet er dabei in Lebensgefahr. Besonders rührend war seine Teil-
nahme für die Verwundeten. Nach der Schlacht bei Mars la Tour
waren ringsum alle Häuser mit Verwundeten überfüllt. Mit Mühe
hatte man für den König eine kleine Stube gefunden. Darin standen
ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl. Der König trat ein und fragte
einen Offizier: „Wo bleiben Moltke und Bismarck?" „Bis jetzt
noch nirgends!" antwortete dieser. „So laden Sie sie ein, mit mir
hier zu lagern," sagte der König; „das Bett nehmen Sie weg, das
können die Verwundeten besser gebrauchen. Dafür lassen Sie Decken
und Stroh bringen; das wird wohl für uns drei ausreichen." So
geschah es, und die drei Herren brachten die regnerische Nacht aus
einem Strohlager zu.
So vorbildlich wie das Leben, so gottbegnadet und erhebend war
das Ende des großen Kaisers am 9. März 1888. Noch am Tage
vor seinem Tode unterschrieb er mit zitternden Händen die Urkunde
zum Schluffe des Reichstages. Mit dem Prinzen Wilhelm sowohl
als auch mit dem Fürsten Bismarck hatte er ernste Unterredungen. Mit
klarer Stimme sprach er über die politische Lage und die Heeresein-
richtungen Deutschlands. Als seine Tochter, die Großherzogin von
Baden, an ihn die Bitte richtete, sich nicht durch zu vieles Sprechen
zu ermüden, erwiderteer: „Ich habe keine Zeit, müde zu sein." Dann
sagte er, ihre Hand ergreifend: „Ja, ja, mein Kind, du kommst vom
Krankenbette deines Bruders in San Remo, dann hast du deinen
Sohn begraben, und nun" — der letzte Satz blieb unvollendet. Auch
die Kaiserin Augusta wich fast den ganzen Tag über nicht von dem
Sterbelager. Oberhofprediger Kögel betete wiederholt mit dem Kaiser
und spendete ihm Trost aus Gottes Wort. Als der Geistliche den
23. Psalm betete und die Worte sprach: „Und ob ich schon wanderte
im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dem
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327
gestreckt die hohen Lehmmauern von Probstheida, auf beiden Seiten durch
Geschütze gedeckt — der Schlüffe! des französischen Zentrums. Unter
dem Kreuzfeuer der Batterien begann der Angriff, ein sechsmal wieder-
holtes Stürmen über das offene Feld, doch zuletzt behauptete sich Napo-
leons Garde in dem Dorfe, und auch Stötteritz nebenan blieb nach
wiederholtem Sturm und mörderischem Häuserkampf in den Händen der
Franzosen. Unmittelbar unter den Augen des Kaisers ward auch
heute den Verbündeten kein entscheidender Erfolg, obgleich sie dicht an
den Schlüffelpunkt seiner Stellung herangelangten. Indessen rückte aus
ihrem rechten Flügel das Nordheer in die Schlachtlinie ein, füllte die
Lücke, welche die böhmische Armee von der schlesischen trennte, schloß
den großen Schlachtenring, der die Franzosen umfaßte. Es hatte Mühe
genug gekostet, bis Bernadotte, der am 17. endlich bei Breitenfeld
aus der alten Stätte schwedischen Waffenruhmes angelangt war, zur
tätigen Teilnahme beredet wurde; um den Bedachtsamen nur in den
Kampf hineinzureißen, hatte Blücher seiner eignen Tatkraft das schwerste
Opfer zugemutet, 30000 Mann seines Heeres an die Nordarmee ab-
getreten und damit selber auf den Ruhm eines neuen Sieges verzichtet.
Einmal entschlossen, zeigte Bernadotte die Umsicht des bewährten Feld-
herrn. Während Langerons Ruffen auf der äußersten Rechten der An-
griffslinie durch wiederhotten Sturm den Feind aus Schönefeld zu ver-
drängen suchten, traf die Hauptmasse der Nordarmee am Nachmittag aus
der Ostseite von Leipzig ein. Bülow führte das Vordertreffen und schlug
das Korps Rehmers aus Paunsdorf hinaus.
So stießen die alten Feinde von Großbeeren abermals aufeinander;
doch wie war seitdem die Sttmmung in den sächsischen Regimentern um-
geschlagen! Wunderbar lange hatte die ungeheure Macht des deutschen
Fahneneides die Truppen des Rheinbundes bei ihrer Soldatenpflicht fest-
gehalten; außer einigen vereinzelten Bataillonen waren bisher nur zwei
westfälische Reiterregimenter zu den Verbündeten übergegangen. Mit dem
Glücke schwand auch das Selbstgefühl der Napoleonischen Bundesgenossen;
sie begannen sich des Krieges gegen Deutschland zu schämen, sie empfanden
nach, was ihr Landsmann Rückert ihnen zurief:
Ein Adler kann vielleicht noch Ruhm erfechten,
doch sicher ihr, sein Raubgefolg, ihr Raben
erfechtet Schmach bei kommenden Geschlechtern!
Die Sachsen fühlten sich zudem in ihrer militärischen Ehre gekränkt durch
die Lügen der Napoleonischeu Kriegsberichte; sie sahen mit Unmut, wie
ihre Heimat ausgeplündert, ihr König von Ort zu Ort hinter dem
Protektor hergeschleppt wurde; und sollten sie mit nach Frankreich ent-
weichen, wenn Napoleon die Schlacht verlor und Sachsen ganz in die
Gewalt der Verbündeten fiel? Selbst die Franzosen empfanden Mitleid
mit der unnatürlichen Lage dieser Bundesgenossen; Reynier hatte bereits
den Abmarsch der Sachsen nach Torgau angeordnet, als das Anrücken
der Nordarmee die Ausführung des wohlgemeinten Befehles verhinderte.
In der Gegend von Paunsdorf und Sellerhausen schloffen sich etwa
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Extrahierte Personennamen: Bernadotte Bernadotte Bülow Rückert Napoleon Reynier
Extrahierte Ortsnamen: Probstheida Breitenfeld Leipzig Rheinbundes Deutschland Sachsen Frankreich Sachsen Sachsen Torgau
328
3000 Mann der sächsischen Truppen an die Nordarmee an, mit ihnen
eine Reiterschar aus Schwaben, Die Preußen und Russen nahmen die
Flüchtigen mit Freuden auf; nur den Württembergischen General Nor-
mann, der einst bei Kitzen die Lützower verräterisch überfallen hatte, wies
Gneisenau mit verächtlichen Worten zurück. Friedrich Wilhelms Ehrlichkeit
aber hielt den Borwurf nicht zurück: wie viel edles Blut die Sachsen dem
Vaterland ersparen konnten, wenn sie ihren Entschluß früher, vor der
Entscheidung faßten! Der traurige Zwischenfall blieb ohne jeden Einfluß
auf den Ausgang der Völkerschlacht, aber es war doch wieder die Einsicht
erwacht, daß auch nach dem Untergange des alten Reiches die Deutschen
noch ein Vaterland besaßen und ihm verbunden waren durch heilige
Pflichten.
Gegen 5 Uhr vereinigte Bülow sein ganzes Korps zu einem ge-
meinsamen Angriff, erstürmte Sellerhausen und Stünz, drang am Abend
bis in die Kohlgärten vor, dicht an die östlichen Tore der Stadt. Da, als
auch Langeron auf der Rechten das hart umkämpfte Schönefeld endlich
genommen hatte und ebenfalls gegen die Kohlgärten herandrängte, war
Ney mit dem linken Flügel der Franzosen auf seiner ganzen Linie ge-
schlagen. Durch diese Niederlage war Napoleons Stellung im Zentrum
unhaltbar. Noch am Abend befahl er den Rückzug des gesamten Heeres,
illun wälzten sich die dichten Massen der geschlagenen Armee durch drei
Tore zugleich in die Stadt hinein, um dann allesamt in entsetzlicher Ver-
wirrung auf der Frankfurter Sttaße sich zu vereinigen. Die Hundert-
rausende, die beim Feuerscheine von zwölf brennenden Dörfern auf dem
teuer erkauften Schlachtfelde lagerten, empfanden ttef erschüttert den
heiligen Ernst des Tages; unwillkürlich sttmmten die Ruffen eines ihrer
frommen Lieder an, und bald klangen überall, in allen Zungen der Völker
Europas, die Dankgesänge zum Himmel auf. Die Sieger beugten sich
unter Gottes gewaltige Hand; recht aus dem Herzen der frommen be-
wegten Zeit heraus sang der deutsche Dichter:
O Tag des Sieges, Tag des Herrn,
wie feurig schien dein Morgenstern!
in.
Nur der Feldherr, der von Amts wegen als der Besieger Napoleons
gefeiert wurde, vermochte die Größe des Erfolges nicht zu fassen. Schwarzen-
berg weigerte sich, die noch ganz unberührten russischen und preußischen
Garden zur Verfolgung auszusenden — nicht aus Arglist, wie manche
der grollenden Preußen annahmen, sondern weil sein Kleinmut die Ge-
schlagenen nicht zur Verzweiflung treiben wollte. Blücher hatte den Tag
über wegen des verspäteten Eintteffens der Nordarmee sein kleines Heer
zusammenhalten müssen, um einen Ausfall in der Richtung auf Torgau,
den man noch immer befürchtete, zurückweisen zu können; darum ward
Jorck erst am Abend auf dem weiten Umwege über Merseburg dem
fliehenden Feinde nachgesendet. Also konnte Napoleon noch 90000 Mann,
fast durchweg Franzosen, aus der Schlacht retten. Die Deckung des
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Extrahierte Personennamen: Gneisenau Friedrich_Wilhelms Friedrich Wilhelms Napoleons Ernst Napoleons Blücher Napoleon
Extrahierte Ortsnamen: Schwaben Sachsen Napoleons Europas Napoleons Torgau Merseburg
L. Aarwiese
^6
gestellt, meist telegraphisch, ebenso wie die der übrigen Armee-Oberkommandos
zum Großen Hauptquartier gelangen.
In dem amtlichen Berichte der Obersten Heeresleitung, der durch
eine bestimmte Telegraphenagentur die weiteste Verbreitung in den Zeitungen
findet, sind die Ereignisse bei der X. Armee etwa wie folgt berücksichtigt:
„Teile des nördlichen bjeeresflügels erreichten gestern den
Abschnitt des N.-Flusses. Einzelne Vorhuten faßten auf dem
westlichen Ufer Fuß."
Warum werden in dem amtlichen Telegramm nicht die beteiligten
Armeekorps und die Truppenteile genannt, die im Feuer gestanden haben?
So wird mancher fragen. Diese amtliche Meldung wird nicht nur in der
Heimat verbreitet, sie geht auch ins Ausland. Werden nun in den täglichen
Berichten genauere Angaben über die beteiligten Truppen gemacht, so kann
die feindliche Heeresleitung sich sehr bald ein Bild von der Stärke und Zu-
sammensetzung unserer Armeen machen, über die sie aber möglicbst lange in
Ungewißheit geballen werden muß, Tage und Wochen vergehen, bis die
Aunde über die Heldentaten der am Aampfe Beteiligten durch die amtlichen
Verlustlisten in der Heimat verbreitet und Einzelbeiten bekannt werden.
Die durch Monate sich hinziehenden, oft Tag und Bacht ausfüllenden Ope-
rationen, die Sorge um die Lebenden selbst, die Ungewißheit über den ver-
bleib einzelner, läßt in der Mehrzahl der Fälle eine genaue Berichterstattung
über die eingetretenen Verluste erst nach geraumer Zeit zu. Es ist ein weit-
verbreiteter Irrtum, daß der Truppenteil verpflichtet ist, die Angehörigen
der Gefallener! zu benachrichtigen. Diese Arbeit zu leisten ist unmöglich'
deshalb werden die amtlichen Verlustlisten herausgegeben.
Um beim Aufräumen der Schlachtfelder und Beerdigen der Toten
deren Persönlichkeiten festzustellen, trägt jeder Soldat eine Erkennungsmarke
mit Nummer um den 6als. Selten einzeln, meist in Massengräbern, den
bsügel mit einfachem Lsolzkreuz gekennzeichnet, ruhen unsere toten Helden.
Tagen des Friedens muß es vorbehalten bleiben, diese Gräber in einen
würdigen Zustand zu versetzen, zu schmücken und dauernd instand zu halten.
In der Heimat aber wahren die Ariegerdenkmäler, in den Dörfern
meist im Schatten alter Eichen und Linden errichtet, im Vereine mit Gedenk-
tafeln in den Airchen das Andenken der Melden auch dann noch unvergänglich,
wenn schon längst die Kerzen derer zu schlagen aufgehört haben, die den
Gefallenen im Leben nahestanden. — Die heimkehrenden aber tragen als
stolzes Erinnerungszeichen auf der Brust das Areuz von Eisen.
wie im ersten Stiftungsjahre Z8tz, so ist auch jetzt eine eiserne Zeit
angebrochen. Wie damals Preußen, so ist heute Deutschland ein einiges
Volk mit dem Wahlspruch:
„Mit Gott für Aaiser und Reich
durch Aampf zum Sieg!"
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